Taizé - Treffen am Jahresende (28.12.-1.1.94
Nach dem evangelischen Kirchentag im Sommer bot sich uns in München zum zweiten Mal in diesem Jahr die Möglichkeit, Tausende von religiös interessierten Jugendlichen - diesmal vor allem aus dem Osten - mit dem Evangelium zu erreichen; ein "Heimspiel" sozusagen. Laut Pressemeldungen waren 80.000 Teilnehmer angereist, davon allein ca. 28.000 aus Polen und 8.000 aus den baltischen Ländern.
Zur Vorbereitung hatten wir jede Menge Bücher und Broschüren besorgt. Unser Bruder Wolfgang Schneider, der uns schon seit Jahren treu und im Verborgenen mit allen möglichen Druckerzeugnissen versorgt, lieferte uns 40.000 Gutscheine, auf denen in zehn Sprachen das Buch "Jesus unser Schicksal" von Wilhelm Busch kostenlos angeboten wurde.
Um es gleich vorwegzunehmen: Einen derartigen, organisierten Widerstand haben wir bisher bei Straßeneinsätzen noch nicht erlebt. Gleich am Ankunftstag wurde bei den ersten "evangelistischen Vorstößen" deut- lieh, daß die Taize-Ordner beauftragt waren, jegliche Verteilaktion sofort zu verhindern. Aufgrund von Erkundungen vor Ort hatten wir uns entschlossen, hauptsächlich die Mittag- und Abendessen-Ausgabe zu nutzen, da zu diesen Zeiten die meisten Teilnehmer auf überschaubarem Raum anzutreffen waren.
Wir hatten am zweiten Veranstaltungstag kaum angefangen unsere Gutscheine zu verteilen, als auch schon etliche Ordner auf dem Plan standen, um uns zunächst durch gutes Zureden und durch Diskussionen vom Verteilen abzuhalten. (Einige Eifrige rissen den Leuten die Traktate wieder aus der Hand und warnten sie vor der "Sekte".) Wir antworteten mit einer bewährten Taktik: einer läßt sich auf die Diskussionen ein, die anderen können inzwischen ungestört weitermachen.
Die anfängliche Freundlichkeit der Ordner hielt nicht lange vor, als sie unsere "Unbelehrbarkeit" erkannten. Schon nach dem ersten größeren Einsatz hatten wir alle Geländeverbot (als Mieter des Geländes machten sie von ihrem Hausrecht Gebrauch). Die rigorose Vorgehensweise sollte sich in den nächsten Tagen noch steigern.
Indem wir uns aufgrund des Geländeverbotes auf den U-Bahn-Bereich und die öffentlichen Straßen zurückzogen, gelang es uns trotzdem, einen Großteil der Gutscheine weiterzugeben. Allerdings wurden unsere Schritte gut überwacht. Daß sollten wir noch sehr deutlich in den kommenden Tagen merken, als wir unser Hauptgewicht auf die Weitergabe von Büchern legten. Dabei hatten wir zusätzlich zur ständigen Überwachung das Problem der verschiedenen Sprachen. So lief der Einsatz in den nächsten zwei Tagen nach folgendem Muster ab:
- wir bauen die Bücher, nach Sprachen sortiert, auf wir fragen die Vorbeikommenden nach Ihrer Muttersprache und fangen mit dem Verteilen an - die Taize-Ordner erscheinen und fordern uns auf, einzupacken - wir verteilen weiter - die Ordner holen die Polizei - die Polizei klärt uns über die rechtliche Lage auf - wir packen ein und suchen uns einen neuen Standort (wo dann meist nach kurzer Zeit das Spiel von vorn beginnt).
Schnelligkeit ist alles
Wir waren also gezwungenermaßen bei dieseln Einsatz ein sehr mobiles Team. Wenn wir anfangs gehofft hatten, den Ordnern würde das Ganze schnell zu dumm, so sahen wir uns getäuscht. Sie blieben uns bis zum Schluß auf den Fersen und schickten uns die Polizei hinterher, sobald sie uns mit Büchern sahen. Der Höhepunkt war wohl am Freitag-Nachmittag: das Zusammentreffen von ca. zehn Ordnern, ca. zehn Geschwistern und zwei Polizei-Einsatzwagen.
Der Herr hat aber die ganze Zeit Seine Hand über uns gehalten. Denn trotz ständiger Konfrontation und etlicher Personalien-Feststellungen war uns die Polizei sehr freundlich gesonnen und beließ es bei Ermahnungen. Dafür liegen jetzt einige - persönlich weitergegebene Exemplare von "Sehnsucht der Betrogenen" auf der Polizeiwache.
Es war beruhigend zu wissen, daß während der ständigen Auseinandersetzungen andere Geschwister unauffällig und unbehelligt an anderen Standorten Broschüren verteilen konnten. Eine weitere Gruppe verteilte an einer ca. 1 km entfernten S-Bahn-Station Bücher, bis auch sie schließlich der von den Ordnern herbeigerufenen Polizei weichen mußte.
Am Abfahrtstag machten sich einige unermüdliche Geschwister das allgemeine Aufbruchs-Durcheinander zunutze, packten nochmal ein Auto mit Büchern voll und legten diese dann ungehindert in den wartenden Bussen aus.
So hat der Herr es doch geschenkt, daß trotz des ständigen "Hindernisrennens" fast alle Gutscheine und ein großer Teil der Bücher zu ihrer Bestimmung gelangten. Nun hoffen wir, daß möglichst viele von dem Angebot Gebrauch machen und das Buch "Jesus unser Schicksal" bestellen.
Wir haben uns immer wieder gefragt, warum die Taize-Veranstalter uns so massiv entgegenwirkten. In den ständigen Diskussionen versuchten wir ihnen klarzumachen, daß wir keine Mitglieder werben, keine Speziallehren an den Mann bringen, sondern den jungen Leuten nur den Herrn Jesus nahebringen wollen -was ja angeblich(1) auch das Ziel von Taize ist. Auf wiederholtes Drängen besorgten wir ihnen auch ein Exemplar von "Jesus unser Schicksal", damit sie sich selbst von unserem Anliegen überzeugen konnten. Aber ihre Ablehnung stand von Anfang an fest und hat sich während der ganzen fünf Tage in keiner Weise gelockert. Vielleicht ist diese Haltung das Ergebnis der in den vergangenen Jahren im Osten stattgefundenen Taize-Treffen, die von diversen Sekten so überschwemmt wurden, daß sie nun ganz grundsätzlich -ohne Unterschied - jeden Einfluß, der nicht von Taize geprägt war, ausschließen wollten.
Anmerkung (1) Die Kommunität Taize ist eine ursprünglich evangelische Bruderschaft, die von Roger Schutz 1949 gegründet wurde und dessen Prior der inzwischen 78jährige "Frere Roger" ist. Die Kommunität versteht sich heute als ökumenische Gemeinschaft mit stark gesellschaftlichen und sozialen Zielen, mit einer liturgisch-mystisch-meditativen Religiösität und einer Nähe zum Katholizismus. Vielleicht liegt in dieser Tatsache auch die Ablehnung von "Jesus unser Schicksal" begründet. W.B.
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"Verhindere Herr, daß jemand, dem ich Deine Wahrheit verkündige, so töricht ist, mein Wort so aufzunehmen, als wäre es Deines; oder so vermessen, Dein Wort beiseite zu setzen, als wäre es meines."
Jim Elliot
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