»...DIESE MÄNNER, DIE SÖHNE DER ZERUJA, SIND ZU HART FÜR MICH.« 2. SAMUEL 3,39
»UND DU WEIßT JA AUCH, WAS MIR JOAB GETAN HAT, DER SOHN DER ZERUJA, WAS ER DEN ZWEI HEEROBERSTEN ISRAELS GETAN HAT... INDEM ER SIE ERMORDETE UND KRIEGSBLUT IM FRIEDEN VERGOß.« 1. KÖNIGE 2,5
Joab war und ist für mich eine der schillernsten und faszinierendsten Männer des Alten Testamentes. Schon als Kind haben mich seine heldenhaften Taten und Eroberungen beeindruckt. Seine Loyalität David gegenüber und sein Vorbild als Führer, der nicht andere an die Front beorderte, sondern selber an der Spitze seines Heeres voranzog und sein Leben für die Sache seines Gottes und Volkes in die Waagschale warf. Es war für mich unbegreiflich, warum ausgerechnet dieser hingegebene Kämpfer am Ende seines Lebens auf den Befehl Davids und Salomos am Altar Gottes getötet wurde. Dazu kam noch, daß der Vollstrekker dieser Exekution Benaja war, ein weiterer Held Davids, der auch zu meinen alttestamentlichen Idolen gehörte. Bis heute wirft die Persönlichkeit Joabs viele Fragen auf. Sein Charakter zieht an und schreckt gleichzeitig ab. Und doch vermittelt uns eine Charakterstudie dieses rätselhaften Strategen eine Menge Einsichten über die Abgründe unserer eigenen Herzen. Zu allen Zeiten waren die Ausleger des Alten Testamentes in der Beurteilung Joabs geteilter Meinung. Die einen sahen in ihm einen eiskalten, berechnenden Mann, der seine Machtambitionen ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzte und schließlich den gerechten Lohn seiner Bluttaten empfing. Andere sahen in Joab mehr das Bild eines fleischlichen Christen, der seine oft guten Ziele mit eigener Kraft erreichen wollte, dabei über Leichen ging und erst am Ende seines Lebens dort starb, wo jeder Christ möglichst früh sterben sollte: »...da floh Joab zum Zelt des Herrn und erfaßte die Hörner des Altars ...und Benaja, der Sohn Jojadas, ging hinauf und stieß ihn nieder und tötete ihn.« (1Kö 2, 28.34) Hier ist kein Platz, alle Taten und Winkelzüge dieses Mannes zu beleuchten. Ich möchte nur auf einige auffallende Eigenschaften und Charakterzüge aufmerksam machen.
Ein "Sohn der Zeruja"
Während wir von dem Vater Joabs nichts lesen, wird Joab an vielen Stellen 'Sohn der Zeruja< genannt. Zeruja war eine Schwester Davids und Joab also ein Neffe des Mannes, der Goliath erschlagen hatte. Entweder war der Vater Joabs früh gestorben, oder aber er war eine farblose Person, die auf das Leben des Sohnes (der Name Joab bedeutet: >Gott ist mein Vater<) wenig Einfluß hatte. Jedenfalls scheint die Mutter Zeruja eine ausgeprägte Persönlichkeit gewesen zu sein. Immerhin gehörten ihre drei Söhne später zu den Heerführern und Helden Davids. Die Übersetzung ihres Namens >Wächterin< zeigt vielleicht etwas von ihrem Charakter, mit dem sie ihre Söhne prägte, die alle drei keine Schlafmützen unter den Soldaten Davids waren. Wie gut, wenn wir auch heute Mütter haben, die über die Entwicklung ihrer Kinder wachen und mit dafür sorgen, daß sie Glaubenshelden in der Nachfolge des Sohnes Davids werden.
Eine Führernatur
Es scheint schon frühzeitig deutlich geworden zu sein, daß Joab Führerqualitätenbesaß. Obwohl wahrscheinlich Abisai nach 1Chr 2.16 der Erstgeborene war, wird er doch »der Bruder Joabs« genannt. Daraus kann man schließen, daß Joab bereits in jungen Jahren dominierte und in der Familie den Ton angab. Man sagt, daß manche Männer »zum Führer geboren« sind. Joab scheint diesen Charakterzug geerbt zu haben. Sicher kam dann auch noch die Prägung und Erziehung des Elternhauses dazu. Führer im Volk Gottes sind zu allen Zeiten nötig, aber selten. Sie sind nötig, um Prozesse in Gang zu bringen, Veränderungen zu schaffen, Aufbrüche zu wagen aber auch um Frieden und Eintracht zu bewahren. Der Mangel an Führungspersönlichkeiten wird heute in der Politik, in der Wirtschaft, im Sport — aber auch im Volk Gottes beklagt. Es fehlt an Männern, die Verantwortung übernehmen, Entschlußkraft haben und fähig sind, Entscheidungen zu treffen. Aber gleichzeitig sind solche Männer eine große Gefahr für ihre Umgebung, wenn ihre Führerqualitäten mit Machtstreben, Ehrgeiz und Habsucht verbunden sind. Deswegen haben Führer im Volk Gottes eine >Spezialausbildung< in den Fächern Zerbruch und Demut nötig, wenn sie im Segen Gottes und zum Wohl der Gemeinde führen wollen. Und genau hier wird ein Unterschied zwischen David und Joab deutlich: David hat in den langen Jahren der Verwerfung, Verfolgung und Demütigung einen Charakter entwickelt, der ihn zu einem Mann »nach dem Herzen Gottes« machte. Joab dagegen wurde nie damit fertig, wenn er für eine Zeit seine Macht mit einem anderen Heerführer teilen oder sich ihm gar unterordnen mußte.
Ein Mann der Tat
Man teilt gerne Menschen danach ein, ob sie beziehungsorientiert oder ergebnisorientiert sind. David war unbedingt ein Mann der Beziehungen. Das war seine Stärke und Schwäche zugleich. Er hatte viele Freundschaften, die er pflegte, er hatte (leider!) viele Frauen und damit auch viel Not mit seinen Kindern. David war ein Mann, der lachen und weinen konnte. Während die Bibel viele Begebenheiten aus dem Leben Davids schildert, die mit seinen Beziehungen zu tun haben, werden wir Schilderungen dieser Art aus dem Leben Joabs vergeblich suchen. Wir erfahren weder etwas über seine Frau, noch über seine Kinder. Sein Leben spielte sich auf dem Schlachtfeld ab. Da, wo es etwas zu erobern gab, wo Feinde in die Flucht gejagt oder das Volk Gottes verteidigt werden mußte, stand Joab an forderster Front. Das, was Gott dem Hiob über das >Roß< zu sagen hat, könnte man gut als Charakterbeschreibung Joabs bezeichnen:
»Er lacht der Furcht und erschrickt nicht und kehrt vor dem Schwert nicht um.... Beim Schall der Posaune ruft er: Hui! Und aus der Ferne wittert er die Schlacht, den Donnerruf der Heerführer und das Feldgeschrei.« (Hi 39,22.25)
In fast allen Geschichten, die wir in der Bibel über Joab lesen, finden wir ihn mit dem Schwert in der Hand und als er einmal in Friedenszeiten eine Volkszählung durchführen sollte, war ihm der Befehl des Königs »ein Greuel« (1Chr 21,6). Wir wissen, daß in diesem Fall geistliche Gründe die Ursache für Joabs Unbehagen waren. Aber es fällt auch schwer, uns Joab mit Federkiel und Zähllisten bewaffnet vorzustellen. Er hätte sich lieber mit den Philistern geprügelt als Hausbesuche zu machen. Das war seine Stärke und zugleich seine Schwäche. Er kannte keine Tränen, sondern fühlte beim Tod seines Bruders Asael nur Zorn und Rachegedanken.
Ein hinterlistiger Mörder
Zwei Begebenheiten geben Aufschluß über die dunklen Abgründe im Herzen Joabs. Als zu befürchten war, daß David plante, den Opportunisten Abner zum Heerführer zu machen (2Sam 3), konnte sich Joab mit der möglicherweise bevorstehenden Degradierung und Demütigung nicht abfinden. Natürlich hatte er auch noch ein Hühnchen mit Abner zu rupfen, weil dieser seinen Bruder Asael getötet hatte. Vertrautheit vortäuschend ermoderte Joab seinen Konkurrenten auf eine gemeine, hinterlistige Art, die eines Heerführers unwürdig war. Es spricht manches dafür, daß Joab den Charakter des Abner und das politische Risiko, das David mit Abner einging, besser einschätzte, als der König selbst. Aber das war nur vordergründig. Es ging Joab — wie auch beim Mord an Amasa — in Wirklichkeit darum, seine Position der Macht nicht preiszugeben. Unterordnung war für ihn ein unerträglicher Gedanke und jeder, der eine Bedrohung für seine Position als Heerführer darstellte, wurde eiskalt beseitigt. Leider ist das nicht nur eine blutige Geschichte aus alten Tagen, bei der es einem kalt über den Rücken läuft. Auch in unserer Zeit wiederholt sich diese Begebenheit in vielen Variationen, weil jeder Führer im Volk Gottes ein potentieller Machtmensch ist, wenn er nicht in der Schule Gottes durch Demütigungen demütig geworden ist und durch Zerbruch gelernt hat, den anderen höher zu achten als sich selbst. Bei wieviel Streit und Trennungen in unseren Gemeinden scheinen geistliche und theologische Gründe für die Auseinandersetzung ausschlaggebend zu sein, während die wirklichen Ursachen oft in persönlichen Ambitionen und Verletzungen von Führern zu suchen sind, die nicht mit David von Herzen sagen können: »Ich will noch geringer werden denn also und will niedrig sein in meinen Augen...«(2Sam 6,22).
Spät, aber nicht zu spät
Es ist bewegend, über den Tod dieses Heerführers nachzudenken, dessen Leben neben manchen Heldentaten doch leider eine ungute Blutspur hinterlassen hat. Als das Todesurteil über Joab feststand, floh er zur Stiftshütte »und erfaßte die Hörner des Altars.«(1Kö 2,28) Benaja, der das Urteil zu vollstrecken hatte, forderte ihn auf, den Altar zu verlassen. Aber dann hören wir Worte aus dem Mund dieses Helden, die er leider erst sehr spät, aber nicht zu spät aussprach: »Nein, sondern hier will ich sterben.« So endet das bewegte Leben Joabs, in dem so oft vom Schwert und Blut die Rede war, damit, daß nun auf eigenen Wunsch das Schwert in sein Herz gestoßen wird. Dort am Altar Gottes fand das "Ich" und der bisher ungebrochene Eigenwille Joabs ein endgültiges Ende. Gott schenke, daß wir alle in jüngeren Jahren diese lebenswichtige Erfahrung machen und mit Paulus bekennen können:
»Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe; ich hin mit Christus gekreuzigt und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.« (Gal 2,19-20)
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